Der Förderverein für seelische Gesundheit trägt bereits in seinem Namen eine wichtige Botschaft: Er nimmt ein positives Ziel in den Fokus, statt die Menschen, die er anspricht, zu pathologisieren. Seit 1974 unterstützt er Menschen mit psychischer Erkrankung in den Bereichen Wohnen, Arbeit und Freizeitgestaltung. In Kürze feiert der Verein, der ein wichtiger Baustein im sozialen Gefüge der Region ist, sein 50-jähriges Jubiläum.
Die Bilder von damals sprechen Bände: In den kahlen Schlafsälen stehen lange Reihen mit Betten. Die Patienten, die im Psychiatrischen Krankenhaus Gießen viele Wochen oder Monate verbrachten, wurden von Wachpersonal kontrolliert.
Der Psychologe und Psychotherapeut Gert Mehles kann sich an diese Zeit noch gut erinnern. Für ihn war das PKH (heute Vitos-Klinik) die erste Station seiner beruflichen Laufbahn. »Es war grauenhaft«, erinnert er sich. Gemeinsam mit Kollegen, in der Klinik angestellten Laien und interessierten Bürgern beschloss er, diesem Elend etwas entgegenzusetzen. Sie gründeten den Verein »Freunde und Förderer des PKH«, der 1989 umbenannt wurde in »Förderverein für seelische Gesundheit«. Mehles und seine Mitstreiter waren Mitte der 70er Jahre Teil einer Reformbewegung, die die Zustände in den psychiatrischen Großkrankenhäusern der damaligen Zeit als menschenunwürdig anprangerte. Die Patienten wurden gesellschaftlich isoliert und nur verwahrt, anstatt behandelt und rehabilitiert zu werden, sagt er. In der Psychiatrie-Enquete von 1975 wurde diese Kritik bestätigt. In den Folgejahren begann im In- und Ausland ein grundlegender Prozess der Umstrukturierung in der Psychiatrie.
Der kleine Verein in Gießen setzte damals Maßstäbe. Fachleute und Ehrenamtliche sorgten nicht nur für Verbesserungen innerhalb der Klinik, sondern sie wagten mit der Gründung von betreuten Wohngemeinschaften ganz neue Wege. Die ersten Jahre, sagt Mehles, waren geprägt von Aufbruchstimmung, Idealismus und großem ehrenamtlichen Engagement.
In den Folgejahren, ergänzt der heutige Geschäftsführer Horst Mathiowetz, wurde das Aufgabenspektrum größer und vielfältiger. Eine zunehmende Professionalisierung sorgte dafür, dass dem Personenkreis der psychisch kranken Menschen individuelle Unterstützung in den Bereichen Wohnen, Arbeiten und sozialer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben angeboten werden konnte.
Förderverein ein gut vernetzter Partner
Heute ist der Förderverein für seelische Gesundheit mit Sitz in der Ludwigstraße 14 ein wichtiger Baustein im sozialen Gefüge der Stadt und der Region. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern des Gemeindepsychiatrischen Verbundes und arbeitet eng mit dem Integrationsamt des LWV Hessen, der Agentur für Arbeit, dem Jobcenter, der Lebenshilfe und anderen Verbänden in der Region zusammen. Die Tätigkeitsfelder sind in die Bereiche Soziale Teilhabe sowie Teilhabe am Arbeitsleben aufgegliedert, rund 40 Mitarbeiter - meist Sozialarbeiter und Sozialpädagogen - sind Ansprechpartner für die Klienten.
Inzwischen werden die meisten Menschen im eigenen Wohnumfeld betreut, aber auch in Wohngemeinschaften und einem vereinseigenen Haus in Gießen. Im Bereich der psychosozialen Begleitung liegt der Fokus auf einem inklusiven Ansatz. Es gibt präventive Angebote, aber auch Projekte, die zum Ziel haben, Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Deutlich breiter aufgestellt als früher ist der Förderverein auch in dem Bestreben, Menschen mit Beeinträchtigung Zugang zur Arbeitswelt zu verschaffen. Dabei steht er nicht mehr nur Ratsuchenden mit psychischer Erkrankung offen, sondern ist auch für Menschen mit anderen Behinderungen da.
Der Integrationsfachdienst (IFD) ist bei der Vermittlung in Arbeit eine wichtige Säule. Er unterstützt Menschen mit einer chronischen Erkrankung oder einer Behinderungen dabei, einen Arbeitsplatz zu bekommen und zu behalten. Nicht nur Betroffene, sondern auch Führungskräfte sowie betriebliche Interessenvertretungen in Unternehmen profitieren von der Beratung und Hilfestellung Die Erfahrung habe gezeigt, dass Erfolge erzielt werden, wenn eine kontinuierliche Begleitung erfolge, sagt Mathiowetz. Wenn Jugendliche zum Beispiel schon in der Förderschule eine intensive Unterstützung erhielten, stünden die Chancen gut, dass sie später auch im Betrieb stabil blieben. Die Integration von Arbeitnehmern mit Beeinträchtigung in den regulären Arbeitsmarkt gelinge auch dank der Zusammenarbeit mit Unternehmen immer öfter. Je besser die Betriebe durch den IFD begleitet würden, desto höher sei die Bereitschaft, einen Arbeitnehmer einzustellen, der ein im Alltag und Arbeitsleben eher unübliches Verhalten an den Tag lege.
»Oft entpuppt sich ein solcher Mitarbeiter als Gewinn für das Team«, sagt Mathiowetz. Die enge Kooperation zwischen Förderverein und Firmen wird in Zukunft an Bedeutung weiter zunehmen: Zum einen, weil Unternehmen angesichts des Mitarbeitermangels flexibler und offener werden müssen, und zum anderen, weil die Zahl der Personen steigt, die die Unterstützung des Fördervereins in Anspruch nehmen. Mehles: »Der Bedarf ist groß, denn immer mehr Menschen leiden unter psychischen Belastungsstörungen.«